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Arbeitsgruppe Neurosensorik

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Prof. Dr. Henrik Mouritsen

Institut für Biologie und Umweltwissenschaften 

  • Luftbild von Latham Island: Ein kartoffelförmiges Stück Land, umgeben von türkisfarbenem Meer.

    Die Forschenden wählten Latham Island wegen seiner entlegenen Lage im Indischen Ozean für ihre Studie aus. Die Insel ist nur 300 Meter lang und liegt 66 Kilometer vor der Küste Tansanias. Shaked Palgi / Weizmann Institute of Sciences

  • Foto eines Flughundes mit ausgebreiteten Flügeln im Flug vor schwarzem Hintergrund

    Wie die neue Studie zeigt, verfügen Nilflughunde über einen neuronalen Kompass, der ihnen auch in freier Natur stabile Richtungsinformationen liefert. HAIM ZIV

Wie Flughunde in freier Wildbahn navigieren

Auf einer einsamen Insel im Indischen Ozean hat ein internationales Team mit Oldenburger Beteiligung zum ersten Mal die Aktivität von Kompassneuronen in freier Natur beobachtet. Ihre Studie erschien nun im Journal Science.  

Auf einer einsamen Insel im Indischen Ozean hat ein ein internationales Team mit Oldenburger Beteiligung zum ersten Mal die Aktivität von Kompassneuronen in freier Natur beobachtet. Ihre Studie erschien nun im Journal Science.

Rund 40 Kilometer östlich der Küste von Tansania in Ostafrika liegt Latham Island, eine felsige, unbewohnte Insel mit einer Fläche von etwa sieben Fußballfeldern. Auf diesem entlegenen Fleckchen Erde zeichneten Forschende vom Weizmann Institute of Sciences in Rehovot (Israel) erstmals Gehirnaktivitäten von Säugetieren in freier Wildbahn auf. An ihrer Studie, die soeben in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde, war auch der Biologe Prof. Dr. Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg beteiligt. Das Team nutzte winzige Datenlogger, um die Aktivität einzelner Nervenzellen von Nilflughunden aufzuzeichnen, während die Tiere über die Insel flogen. Die Forschenden fanden heraus, dass die mit den Fledermäusen verwandten Tiere über einen neuronalen Kompass verfügen, der ihnen auf der gesamten Insel stabile Richtungsinformationen liefert und nicht vom Mond oder den Sternen abhängt. Experimente in Israel, die Mouritsen gemeinsam mit Dr. Shir Maimon vom Weizmann Institute durchführte, zeigten zudem, dass das Erdmagnetfeld bei der Navigation der Nilflughunde wahrscheinlich keine Rolle spielt. Dabei sei es durchaus denkbar, dass die Flughunde zum Navigieren den gleichen neuronalen Mechanismus verwenden wie Menschen.

Prof. Dr. Nachum Ulanovsky vom Weizmann Institut, verantwortlicher Autor der Studie und einer der führenden Wissenschaftler des von Mouritsen geleiteten Sonderforschungsbereichs „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten“, begann bereits 2018 mit der Suche nach einer passenden Umgebung, um die Navigation von Säugetieren in freier Wildbahn zu erforschen. Nach einer längeren Sondierung stieß der Forscher auf Latham Island, eine isolierte, unbewachsene Insel im Indischen Ozean mit genau der richtigen Größe, um die Flüge von Flughunden verfolgen und die Tiere nach einer gewissen Zeit wieder einfangen zu können.

In einer Nacht legen Flughunde durchschnittlich 50 Kilometer zurück

Die erste Expedition des Teams fand 2023 statt, eine zweite 2024. Die Forschenden führten auf Latham Island Experimente mit sechs aus Tansania stammenden Nilflughunden (Rousettus aegyptiacus) durch, denen sie zuvor winzige Datenlogger implantiert hatten. Diese Vorrichtungen zeichneten die Gehirnaktivität, GPS-Signale und weitere Daten auf. Die Forschenden hatten die Datenlogger – die kleinsten ihrer Art auf der Welt – speziell für die Studie entwickelt. Das Team ließ die Tiere zunächst in einem großen Zelt auf der Insel frei, damit sie sich an ihre neue Umgebung gewöhnen konnten.

Danach flog jeder Flughund nachts einzeln für jeweils 30 bis 50 Minuten über die Insel. Währenddessen zeichneten die Forschenden die Aktivität von mehr als 400 Nervenzellen im Gehirn auf – in Regionen, von denen bekannt ist, dass sie bei der Navigation eine Rolle spielen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass jedes Mal eine spezielle Gruppe von Nervenzellen aktiv wurde, wenn der Kopf der Fledertiere beim Fliegen in eine bestimmte Richtung zeigte. Auf diese Weise entstand ein interner Kompass, der den Tieren anzeigte, in welcher Richtung sie gerade unterwegs waren. Navigation anhand solcher Richtungsneuronen, der sogenannten Kopfrichtungszellen, war schon zuvor im Labor beobachtet worden. Wie die Forschenden schreiben, liefert die Studie erstmals Beweise dafür, dass dieser Mechanismus in freier Natur genauso abläuft.

Daten von unterschiedlichen Orten auf Latham Island belegten, dass die Aktivität der Kopfrichtungszellen auf der gesamten Insel konsistent und verlässlich ist. Dies ermöglicht es den Flughunden, sich auf einer großen geografischen Fläche zu orientieren.

„Eine der großen Fragen der Säugetiernavigation ist, ob Kopfrichtungszellen als lokaler oder globaler Kompass funktionieren“, erklärt Ulanovsky. „Mit anderen Worten: Zeigt eine bestimmte Gruppe von Zellen immer in die gleiche Richtung, etwa nach Norden, oder orientiert sich der gesamte Kompass je nach lokaler Umgebung um?“ Die Studie habe ergeben, dass der Kompass global ist. „Wo auch immer sich der Flughund auf der Insel befindet und was auch immer er sieht – spezifische Zellen zeigen immer in die gleiche Richtung. Nord bleibt Nord und Süd bleibt Süd.“ Auch wenn sich ein Flughund von der Westküste der Insel zur Südküste bewegte und die Küstenlinie somit ihre Richtung änderte, störte dies den Kompass nicht. Flughöhe und Geschwindigkeit spielten ebenfalls keine Rolle.

Um sich Landmarken einzuprägen, brauchen die Tiere einige Nächte

Als nächstes untersuchte das Team, auf welchen Informationen der Kompass der Flughunde beruht, die sich anders als Fledermäuse nicht mittels Echoortung orientieren können. Die Forschenden prüften etwa, ob die Nilflughunde zur Orientierung ähnlich wie Zugvögel das Magnetfeld der Erde nutzen. Untersuchungen von Mouritsen und Mitgliedern aus Ulanovskys Team in einem speziell errichteten Flugtunnel in Israel zeigten, dass die Richtung des Magnetfeldes relativ zur Flugrichtung keinen Einfluss darauf hatte, wie diese in den Kompasszellen kodiert wurde. Beobachtungen auf Latham Island lieferten weitere Belege dafür, dass die Fledermäuse das Magnetfeld der Erde wahrscheinlich nicht als Grundlage für ihre Kompassneuronen nutzen. Unter anderem beobachtete das Team, wie der neuronale Kompass der Tiere einen Lernprozess durchlief und erst nach drei Nächten zuverlässig funktionierte. Daraus schlossen die Forschenden, dass sich die Flughunde an Landmarken wie Klippen oder großen Felsen orientieren. „Für die Flughunde ist das Sehen der wichtigste Sinn; er reicht auch am weitesten in die Ferne“, erklärt Ulanovsky. Anders als die Navigation anhand des Erdmagnetfeldes erfordere das Lernen von Landmarken eine komplexe Verarbeitung neuronaler Signale und dauere daher einige Nächte.

Die Forschenden untersuchten weiterhin, ob die Flughunde Sonne, Mond oder Sterne zum Navigieren nutzen.  Messungen der Aktivität der Kopfrichtungszellen lieferten jedoch keinen Hinweis darauf. Das Team hält es indessen für möglich, dass Mond oder Sterne dazu dienen könnten, den neuronalen Kompass zu kalibrieren.

Kopfrichtungszellen bilden den grundlegendsten Navigationsmechanismus von Säugetieren, sie entstehen schon während der frühesten Stadien der Gehirnentwicklung. „Indem wir die Navigation von Säugetieren untersuchen, können wir Hypothesen dazu aufstellen, wie Navigationsmechanismen im menschlichen Gehirn funktionieren und wie sie gestört werden, etwa durch neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer“, betont Ulanovsky. Dafür seien Studien in komplexen, natürlichen Umgebungen unerlässlich, die dank technologischer Fortschritte erst seit kurzem möglich seien.

Shaked Palgi, der Erstautor der Studie, ist Doktorand im Sonderforschungsbereich „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten“. Neben den bereits erwähnten Forschenden waren Dr. Liora Las, Yuval Waserman, Liron Ben-Ari, Dr. Tamir Eliav, Dr. Avishag Tuval und Chen Cohen vom Weizmann Institut sowie Dr. Julius Keyyu vom Tanzania Wildlife Research Institute und Dr. Abdalla Ali von der Staatlichen Universität von Sansibar an der Studie beteiligt.

Dieser Text basiert auf einer Mitteilung des Weizmann Institute of Science

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