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Hochschulzeitung UNI INFO

News-Artikel Energiesysteme transformieren

Abteilung Digitalisierte Energiesysteme

Vita

Prof. Dr. Astrid Nieße ist Professorin für Digitalisierte Energiesysteme und Mitglied im Vorstand des Informatikinstituts OFFIS sowie Sprecherin des Bereichs Energie. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf der Digitalisierung von Energiesystemen mithilfe von selbstorganisierenden Verfahren und Software-Agenten.

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Prof. Dr. Astrid Nieße

Department für Informatik

  • Eine Frau hockt auf einem Flachdach, das mit Solarmodulen bedeckt ist und lächelt in die Kamera.

    Astrid Nieße ist Spezialistin für digitalisierte Energiesysteme. Das von ihr geleitete Zukunftslabor Energie befasste sich damit, wie sich Energieerzeugung, Speicherung und Verbrauch bereits im lokalen Netz ins Gleichgewicht bringen lassen. Daniel Schmidt / Universität Oldenburg

Wie Wohnquartiere die Energiewende schaffen

Die Umstellung von Wohnquartieren auf erneuerbare Energien ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Wie dies gelingen kann, haben Forschende unter Leitung von Astrid Nieße im „Zukunftslabor Energie“ untersucht.

Die Umstellung von Wohnquartieren auf erneuerbare Energien ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Wie dies gelingen kann, haben Forschende unter Leitung von Astrid Nieße im „Zukunftslabor Energie“ untersucht.

Frau Nieße, das von Ihnen geleitete Projekt „Zukunftslabor Energie“ ist kürzlich zu Ende gegangen. Darin ging es um die zukünftige Energieversorgung von Wohnquartieren, insbesondere um die gemeinschaftliche Nutzung von Energie. Wie kann eine solche „Energy Sharing Community“ aussehen?

Idealerweise werden in einem zukünftigen Quartier nicht nur die Versorgung mit Strom und Wärme gemeinschaftlich organisiert, sondern auch andere Dienstleistungen, etwa Mobilität. Außerdem wird es gemeinsam genutzte Infrastruktur geben, beispielsweise Batteriespeicher oder Photovoltaikanlagen auf Gemeinschaftsgebäuden. Auf diese Weise kann überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen direkt vor Ort geteilt und genutzt werden. Erzeugung, Speicherung und Verbrauch lassen sich bereits im lokalen Netz weitgehend ins Gleichgewicht bringen. Die Anlagen werden vom Quartier gemeinsam betrieben, so dass alle davon profitieren und sich als Teilhaber einer solchen quartiersbezogenen Energiewende verstehen.

Wie kann man das erreichen?

Diese Vision benötigt einen guten technischen Unterbau. Es braucht digitale Technologien, die zeitnah eingreifen, wenn Stromerzeugung und -verbrauch aus dem Gleichgewicht geraten. Dazu gehören etwa eine Messinfrastruktur, um Einblick in den aktuellen Zustand des Quartiersenergiesystems zu gewinnen, aber auch Feedbackmechanismen zur Steuerung des Energieverbrauchs. Im Idealfall läuft das meiste automatisch ab, aber auch Anreize für die Bewohnerinnen und Bewohner können eine Wirkung entfalten.

Diese Art der Energieversorgung unterscheidet sich sehr von dem heutigen Modell. Wie bringt man die Menschen dazu, mitzumachen?

Im „Zukunftslabor Energie“ haben wir uns in einem niedersachsenweiten Konsortium – darunter das DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme, das OFFIS – Institut für Informatik, die TU Braunschweig, die Universität Hannover, die Ostfalia Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Hochschule Emden/Leer – vor allem auf technische Fragen konzentriert. Im Folgeprojekt TEN.efzn, das vom Land Niedersachsen gefördert wird, geht es auch um Dinge wie Akzeptanz. Dort sind mit meiner Kollegin Jannika Mattes und ihrem Team die
Sozialwissenschaften an Bord.

Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass wir die nötigen Technologien für Quartiersenergiesysteme entweder schon haben oder in der Lage wären, sie von Prototypen zur Feldreife zu entwickeln.

Astrid Nieße

Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Arbeit des Zukunftslabors?

Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass wir die nötigen Technologien für solche Quartiersenergiesysteme entweder schon haben oder aber in der Lage wären, sie von Prototypen zur Feldreife zu entwickeln. Wir können es sensorisch, algorithmisch und auch in Hinsicht eines zukünftigen Leitsystems in den Griff bekommen. Die technische Machbarkeit ist an sich da – wenn auch natürlich noch nicht ausgereift.

Woran hapert es denn noch, um diese Idee umzusetzen?

In Deutschland sind rechtliche und regulatorische Grundlagen für solche „Energy Sharing Communities“ noch unzureichend. Die EU gibt zwar Rahmenbedingungen vor, aber diese sind im deutschen Recht noch nicht ausreichend implementiert. Das ist neben der soziologisch-reflektierten Technikentwicklung das Hauptthema, das uns noch beschäftigen muss.

Im Zukunftslabor hat das Projektteam verschiedene Szenarien entworfen, um die technischen Details solcher Quartiersenergiesysteme zu vergleichen. Welche Themen standen im Vordergrund?

Es ging beispielsweise darum, wie sich verschiedene Erzeuger und Verbraucher – etwa Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher – gut im
laufenden Betrieb kombinieren lassen. Auch die Flexibilität im Quartiersnetz spielte eine Rolle, also die Frage, wie es gelingt, Erzeugung und Verbrauch ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür haben wir etwa untersucht, wie man Lasten von einem Zeitpunkt auf einen anderen verschieben kann, welche Algorithmen für so ein lokales System geeignet sind oder wie die verschiedenen Geräte gut miteinander kommunizieren können. Auch die Wärmeversorgung war Thema. 

UNI-INFO: Ist dies vor allem in Simulationen durchgespielt worden? 

Nicht nur, aber darauf lag der Schwerpunkt. Ein wichtiger Teil des Projekts waren drei echte Wohnquartiere als sogenannte Reallabore, darunter das neue Oldenburger Quartier Helleheide auf dem Fliegerhorst. Die Energiesysteme dieser Quartiere wurden im Projekt erfasst und untersucht. Der Fokus lag darauf, für diese Praxisbeispiele neuartige Konzepte für Quartiersenergiesysteme zu simulieren. Forschende am Oldenburger DLR-Institut haben zudem im Labor gemeinsam mit der Hochschule Emden/Leer neue Ansätze zur Stabilisierung und Analyse von Stromnetzen erprobt. Gemeinsam mit dem OFFIS haben wir getestet, wie IT-basierte Systeme und Leitsysteme mit den Energiesystemen wechselwirken. 

Welche praktischen Resultate hat das Zukunftslabor erzielt?

Es sind viele Ergebnisse in Form von neuer Software und Simulationsmodellen entstanden. Wir haben viel Wissen dazu aufgebaut, wie
man quelloffene Software und offene Modelle entwickelt, wie man Daten tauscht und veröffentlicht – im Sinne von Open Science. Das führt zu einer hohen Nachnutzung und wird die Geschwindigkeit, mit der die nächsten Forschungsfragen bearbeitet werden können, extrem erhöhen. Viele Projektpartner konnten Folgeprojekte akquirieren, teils auch gemeinsam. Wir von der Uni Oldenburg haben etwa die Förderung für das Konsortium NFDI4Energy eingeworben, in dem eine nationale Infrastruktur für den Austausch von Daten und Software in der Energiesystemforschung entsteht.

Richtet sich die im Zukunftslabor entwickelte Software auch an Verbraucherinnen oder Ingenieurbüros?

Auf jeden Fall. Ein Team von der Universität Hannover hat beispielsweise ein kostenloses Onlinetool namens NESSI entwickelt, mit dem man prüfen kann, ob sich Investitionen auf Einzelhaus- oder Nachbarschaftsebene lohnen. Das kann jeder nutzen, um herauszufinden, ob und wann sich eine PV-Anlage oder ein Batteriespeicher amortisiert. 

Welche Aufgaben sehen Sie für die Zukunft?

Im Laufe des „Zukunftslabors Energie“ hat sich herausgestellt, wie wichtig es ist, dass die Menschen Vertrauen in die neuen Systeme entwickeln. Genau das ist Thema im Teilprojekt von TEN.efzn zur vertrauenswürdigen Digitalisierung, das Sebastian Lehnhoff und ich gemeinsam leiten. Unser Ziel ist es, dass Menschen die Wahl haben, ob sie mit Systemen zum Management ihres Energiebedarfs intensiv in die Interaktion gehen oder diese Interaktion auf ein Mindestmaß reduzieren. In jedem Fall müssen die Belange der Menschen geeignet abgebildet werden. Einerseits geht es um die technischen Bedarfe, andererseits aber auch darum, so etwas wie Wert vorstellungen abzuleiten – etwa, ob jemand bereit ist, für die Stabilisierung des Netzes Einbußen hinzunehmen, oder ob er lieber die Kosten optimieren möchte. Das möchten wir verstehen und abbilden können. Denn nur, wenn die Menschen diese Systeme akzeptieren, erzielen sie auch die erwünschte Wirkung.

Interview: Ute Kehse

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Presse & Kommunikation (Stand: 10.07.2025)  Kurz-URL:Shortlink: https://uole.de/p82n11653
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