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Veranstaltung

Semester: Sommersemester 2025

4.03.1204 Stoische Philosophie: Epikur, Seneca, Epiktet, Musonius Rufus, Petronius Arbiter -  


Veranstaltungstermin | Raum

Beschreibung

Das erkenntniskritisch und philosophie- und ideenhistorisch ausgerichtete Stoa-Seminar ist als Interaktion zwischen Vortrag und Plenumsdiskussion konzipiert und nimmt die systematische Fahrt mit Epikurs Briefen und Fragmenten auf. Der Anfang mit Epikur eignet sich aus zwei Gründen: Erstens, weil er einen neuen, an das Individuum gewendeten, nicht-akademischen und allgemeinverständlichen Glücksbegriff zum Ausgangspunkt der Reflexion über den Nutzen lebenspraktischen Reflektierens, Sprechens und Handelns legte, nachdem die griechischen Stadtstaaten ihre Funktion als politisch-kulturelle Einheiten verloren hatten. Zweitens war Epikurs Wahrnehmungstheorie (Aisthesis) die Basis aller Erkenntnis, so dass der damit verknüpfte Sensualismus es vermochte, Lust und Schmerz als Maßstab für ein selbstbestimmtes, genügsames und glückseliges Leben aufzufassen, um so schließlich entscheiden zu können, was zu wählen und zu meiden sei. Die menschliche Natur selbst empfindet, was ihr eigentümlich oder fremd sei, wobei auch keine Angst vor dem Jenseits zu bestehen habe, weil die Seele als materiell und sterblich gedacht ist und insofern mit dem Leib zerfällt. Kurzum: Glückseligkeit und Ataraxia bestehen in der Freiheit von Leidenschaften als Aufhebung der Unlust und bewusst vorgenommener Trennung von nichtigen Bedürfnissen.
Das Nachleben von Epikurs Ethik ist verknüpft mit der Frage, ob die zur Dekadenz neigende römische Welt, wie der Dichter Horaz behauptete, doch nicht an ihren Übeln zusammenkrachte („si fractus illabatur orbis, inpavidum ferient ruinae“ – Wenn der Erdkreis einstürzte, träfe er einen Furchtlosen)? Allerdings trafen die Trümmer römischer Herrschaft durchaus Philosophen, die in post-cäsarischer Zeit von politischen Verschwörungen und Gewaltexzessen nicht verschont geblieben waren. Die gängige Praxis der Verbannung setzte jedoch den produktiven Impuls intellektueller Widerstandskraft als Gegenleiden frei. Epikurs Lehren verschafften römischen Stoikern inneren Halt, der sie unerschütterlich machte gegenüber äußeren Krisen wie Sklavenaufständen, höfischen Skandalen oder dem zwangsweise verordneten Exil. Charakterfeste Persönlichkeiten wie Seneca, der als Fürstenerzieher Neros tätig war, entwickelte unter schwierigen Verhältnissen die Sittenideale römisch-stoischer Philosophie, die gleichzeitig wegen zunehmender Geldgier, wollüstiger Geilheit und Veränderungen an der ökonomischen Basis der Gesellschaft (durch Schenkung reichgewordene ehemalige Sklaven kopieren den aristokratischen Lebenswandel ihrer vormaligen Besitzer) einer radikalen Ideologiekritik unterzogen wurden, wie sie Petronius in seinem satirisch-realistischem Sittengemälde – dem ersten Roman über den materiellen und intellektuellen Niedergang der römischen Republik im sermo vulgaris – geschildert hatte.
Zentrale Fragen, die zu diskutieren und zu beantworten sind, haben sich auf die diagnostische und therapeutische Aufgabe der Philosophie zu beziehen: Was ist Philosophie, und wer sind ihre Adressaten? In welchen Gattungen und Stilformen drückt sich stoisches Denken aus? Welche rhetorischen Mittel setzten Stoiker ein, um ihre Argumente rationaler Lebensführung zu begründen? Wie ist Epikurs Lehre der Ataraxia, Metanoia und Hedone aufgebaut? Gibt es Heilung und Befreiung von den Übeln? Kann der Mensch Glück erfahren, obschon er dem Tod geweiht ist und ihm existentielle Leidenserfahrungen nicht erspart bleiben? Können Affekte eingedämmt und Schmerzvermeidung erlernt werden? Welche Rolle spielt die ältere Stoa oder auch Platons Philosophie? Auf welche Weise wird der Selbstmord gerechtfertigt? Was bedeutet „sapere aude“, und welcher Zweck ist mit diesem Attribut verknüpft? Wie schätzt Musonius Rufus die Rolle der Frau ein? Darf sie philosophieren, oder wird sie an den Küchenkochtopf verbannt, obschon auch Männer kochen können, und, was nicht wichtiger ist, Genie kein Geschlecht kennt? Wie ist die Freiheitslehre des ehemaligen Sklaven Epiktet aufgebaut? Kurzum: Worin besteht die praxistaugliche Zweckdienlichkeit, wenn man heute – im Zeitalter menschengemachter Klimakatastrophen, kapitalistischer Naturvergewaltigung und transzendentaler Orientierungslosigkeit – stoische Philosophen liest: Oder warum können sie für Oberstufenschüler, künftige Lehrer oder auch Kulturschaffende und Philosophieinteressierte anregend, reizvoll, packend, lohnend, lehrreich, fesselnd oder lebenswichtig sein?
Erwartung: Lust und Laune, regelmäßige Teilnahme, selbständige Lektüreaneignung und diskursive Bearbeitung der Primärtexte. Die erste Seminarsitzung beginnt mit Epikurs Briefen (s. Bibliographie); der weitere Ablauf geht aus der Bibliographie und dem Zeitplan hervor.
Organisation: Alle Primärtexte und die angegebene Forschungsliteratur stehen im Handapparat der UB (Philosophische Abteilung) zur Verfügung. Die Anschaffung der Primärliteratur, besonders die angegebenen Reclam-Ausgaben, ist zu empfehlen.
Primärliteratur:
Epiktet: Handbüchlein der Moral (Griechisch/Deutsch). Aus dem Griechischen übersetzt von Kurt Steinmann. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 2008.
– Wie werde ich wirklich frei? In: Epiktet, Teles, Musonius. Wege zum Glück. Auf der Grundlage der Übertragung von Wilhelm Capelle neu übersetzt und mit Einführungen und Erläuterungen versehen von Rainer Nickel. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1991, S. 131-159.
– An einen, der sich mit dem Problem des Seins herumschlug. In: Ebd., S. 51f.
– Über soziale Beziehungen. In: Ebd., S. 63f.
– Über die Aufmerksamkeit. In: Ebd., S. 97-101.
– Wie man sich gegenüber Tyrannen verhalten soll. In: Ebd., S. 108-110.
– Was ist der Anfang der Philosophie? In: Ebd., S. 176-179.
– Was von ihm erhalten ist. Nach den Aufzeichnungen Arrians. Neubearbeitung der Übersetzung von J. G. Schulthess [1766] von R. Mücke. Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung 1924.
Epikur: Brief an Herodot. In: Ders.: Briefe, Sprüche, Werkfragmente. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Hans-Wolfgang Krautz. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2007, S. 5-40.
– Brief an Menoikeus. In: Ebd., S. 41-51.
Petronius: Die große Satire. Abenteuer des Enkolpius. Aus dem Lateinischen von Ludwig Gurlitt. Mit Nachwort herausgegeben von Ernst Günther Schmidt. Leipzig: Dieterische Verlagsbuchhandlung 1962 (Sammlung Dietrich, Band 259).
Seneca: De otio (Über die Muße). In: Ders.: De Otio. De providentia. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Gerhard Krüger. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 1996, S. 3-23.
– De providentia. In: Ebd., S. 25-65.
– De brevitate vitae (Von der Kürze des Lebens). Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Josef Feix. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 1996.
– Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch. Herausgegeben von Manfred Rosenbach. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974 (Dritter Band. An Lucilius. Briefe 1-69; Vierter Band. An Lucilius. Briefe 70-124 [1984]). Dazu alternativ und zur Anschaffung empfohlen: Seneca: Briefe an Lucilius. Aus dem Lateinischen übersetzt von Heinz Gunermann, Franz Loretto, und Rainer Rauthe. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Marion Giebel. Stuttgart: Reclam 2014 oder Briefe an Lucilius. Gesamtausgabe I. Rom unter Nero (Briefe 1-80) und Gesamtausgabe II. Stoische Lebenskunst (Briefe 81-124). Neu übersetzt und mit Erläuterungen sowie einem Essay ‚Zum Verständnis des Werkes‘ herausgegeben von Ernst Glaser-Gerhard. Schleswig: Claussen & Bosse 1965.
Rufus, Musonius: Dass auch die Frauen philosophieren sollten. In: Epiktet, Teles, Musonius: Wege zum Glück. Auf der Grundlage der Übersetzung von Wilhelm Capelle neu übersetzt und mit Einführungen und Erläuterungen versehen von Rainer Nickel. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1991, S. 222-226.
– Dass auch die Könige philosophieren sollten. In: Ebd., S. 238-244.
– Dass die Verbannung kein Übel ist. In: Ebd., S. 245-251.
– Von den Beziehungen der beiden Geschlechter. In: Ebd., S. 259-261.
– Ob die Ehe für Philosophen ein Hindernis ist? In: Ebd., S. 263-267.
Forschungsliteratur:
Bloch, Ernst: Antike Philosophie. Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1950-1955. Band 1. Bearbeitet von Beat Dietschy und Hanna Gekle. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1985.
Condoleo, Nicola: Epikurs Wege. Eine praktische Einführung zum lustvollen Leben. Marburg: Büchner Verlag 2022.
Christ, Karl: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus bis zu Konstantin [1988]. München: Verlag C. H. Beck 2009.
Diogenes Laertius: Epikur. In: Ders.: Leben und Meinungen berühmter Philosophen [3. Jh. v. Chr.]. Aus dem Griechischen übersetzt von Otto Apelt. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1967, S. 223-295.
Gadamer, Hans Georg: Antike Atomtheorie [1936]. In: Ders.: Gesammelte Werke. Band 5. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1985, S. 263-279 (UTB 2115).
Marx, Karl: Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie [1839]. In: Ders./Engels, Friedrich: Werke. Band 40. Berlin: Dietz Verlag 1985, S. 13-255.
– Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange [1841]. In: Ebd., S. 257-373.
Olligschläger, Uwe J.: Die Gesundheit der Seele: Sokrates – Seneca – Epiktet. Antikes Denken, moderne kognitive Psychotherapie und die Biochemie unserer Gedanken. Münster: LIT Verlag 2011, S. 123-276.
Porter, James I.: Living on the Ege: Self and World in extremis in Roman Philosophy. In: Classical Antiquity. Vol. 39, Issue 2, 2020, S. 225-283.
– The Sublime in Antiquity. Cambridge: Cambridge University Press 2016.
Sonnabend, Holger: Nero. Inszenierung der Macht. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016.
Von den Hoff, Ralf/Stroh, Wilfried/Zimmermann, Martin (Hrsg.): Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt. München: C. H. Beck 2014.
Wöhrle, Georg: Epiktet für Anfänger. Gespräche und Handbüchlein der Moral. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2002.
Zeitplan:
07. 04. 2025 Einführung, Epikur: Brief an Menoikeus
14. 04. 2025 Epikur: Brief an Herodot
21. 04. 2025 Ostern
28. 04. 2025 Epikur: Fragmente
05. 05. 2025 Seneca: Von der Kürze des Lebens
12. 05. 2025 Seneca: Über die Muße
19. 05. 2025 Seneca: Briefe an Lucilius
26. 05. 2025 Seneca: Briefe an Lucilius
02. 06. 2025 Musonius: Dass auch die Könige philosophieren sollten; Dass auch die Frauen philosophieren sollten
09. 06. 2025 Pfingstmontag
16. 06. 2025 Musonius: Von den Beziehungen der beiden Geschlechter; Ob die Ehe für Philosophen ein Hindernis ist
23. 06. 2025 Petronius: Die große Satire
30. 06. 2025 Epiktet: Was ist der Anfang der Philosophie? Handbüchlein der Moral
07. 07. 2025 Epiktet: Handbüchlein der Moral, Abschlussgespräch

lecturer

SWS
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(Stand: 22.05.2025)  Kurz-URL:Shortlink: https://uole.de/studium/lehrveranstaltungen/va-details?cHash=676ccd526439f1a2e4c4ca408b297dc5&course_id=04faa75cffc0d962a01d62ff98ad1aba
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